Wichtiger Hinweis:

Du wirst nach deinem Kauf mehrere E-mails vom Shop erhalten. Die E-mails kommen nicht unbedingt am selben Tag bei dir an.

Die erste E-Mail ist die Bestellbestätigung. Die nächste E-mail ist die Bestätigung dass wir deine Bestellung abgeschlossen haben. (Falls du eine Veranstaltung gekauft hast, bekommst du hier auch deine Tickets; bitte zur Veranstaltung mitbringen, auf dem Handy oder gedruckt)

Die letzte E-mail ist deine Rechnung. Bekommst du diese nicht, brauchst aber eine Rechnung, dann melde dich bitte beim Veranstalter.

Ilse Friis

„Die Frauen sind mein Steckenpferd geworden“

– Ilse Friis schenkt Minderheitenfrauen während des Nationalsozialismus Aufmerksamkeit

Während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit sind Frauen mit vielen Herausforderungen konfrontiert worden, einschließlich der Bewältigung der emotionalen und physischen Auswirkungen des Krieges. Ilse Friis hat es sich zur Aufgabe gemacht, deren Lebensgeschichten zu erfassen, um ein umfassendes Verständnis davon zu erhalten, wie der Zweite Weltkrieg und die Jahre danach das Leben von Frauen beeinflusst haben. Die wertgeschätzte Minderheitenpersönlichkeit will mit ihren historischen Forschungen das Bewusstsein für die Bedeutung von Frauen stärken, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen gehört werden.

Ilse Friis ist in Fredstedt (Fredsted) bei Hadersleben (Haderslev) aufgewachsen. Der Lebensmittelpunkt der 70-Jährigen ist seit 1978 Apenrade.

Foto: Karin Riggelsen

Apenrade/Aabenraa  Ilse Friis wohnt mit ihrem Mann Andreas Cornett im nordöstlichen Teil von Apenrade. Das ansprechende Haus in dem beliebten Wohnviertel am Gamle Kongevej liegt in der Nähe des idyllischen Wanderpfads „Knappstien“ und dem Wald von Jürgensgaard (Jørgensgård Skov). Wir besuchen Ilse Friis im Frühjahr 2023, um mit ihr über ihr Leben in der Minderheit zu sprechen. Im Fokus des Porträts stehen ihre hauptberufliche Tätigkeit als Rektorin des Gymnasiums (Deutsches Gymnasium für Nordschleswig, DGN), Apenrade und ihr ehrenamtlicher Einsatz als Vorsitzende des Trägervereins des Deutschen Museums Nordschleswig in Sonderburg (Sønderborg) und dem zusammen mit dem Museum untergebrachten Archiv „Deutsches Archiv Nordschleswig“.

Kindheit in Hadersleben, Familie und Beruf in Apenrade

Ilse Friis ist zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Christa in Fredstedt bei Hadersleben aufgewachsen. Der Lebensmittelpunkt der 70-Jährigen ist seit 1978 Apenrade. Hier leitete Ilse Friis von 2000 bis 2017 das DGN und hier begann ihr ehrenamtliches Engagement für das Deutsche Schulmuseum, das seit einigen Jahren in der Minderheiteneinrichtung in Sonderburg untergebracht ist. Ilse Friis ist Vorsitzende des Trägervereins des Museums und sie arbeitet auch in dem dort beheimateten Archiv der Minderheit als ehrenamtliche Historikerin.

Im Deutschen Museum Nordschleswig in Sonderburg verbringt Ilse Friis viele Stunden.

Foto: Karin Riggelsen

Das Engagement für die Minderheit in die Wiege gelegt

Sie lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass das Engagement für die Minderheit ihr in die Wiege gelegt wurde. „Ich bin in die Minderheit hineingeboren worden. Das war nicht eine Wahl, die wir gemacht haben. Unsere Eltern haben für uns entschieden und uns zweisprachig erzogen. Wir haben die Erziehung genossen, die sie für uns gewählt haben. Wir wären nicht wir, wenn wir nicht die Geschichte hätten, die wir haben. Wenn unsere Eltern uns Dänisch erzogen hätten, dann wären wir sicherlich in einer anderen Situation, in einer ganz anderen Lebenslage“, ist sich Ilse Friis sicher.

Ich bin in die Minderheit hineingeboren worden. Das war nicht eine Wahl, die wir gemacht haben. Unsere Eltern haben für uns entschieden und uns zweisprachig erzogen. Wir wären nicht wir, wenn wir nicht die Geschichte hätten, die wir haben. Dann wären wir sicherlich in einer ganz anderen Lebenslage.

Ilse Friis, 1952 in Hadersleben (Haderslev) geboren.

Verständnis aufbringen

Für die jüngere Generation in der deutschen Volksgruppe wünscht sich Ilse Friis, dass sie versteht, wo sie herkommt und weiß, welchen Beitrag sie innerhalb der Minderheit leisten kann. „Dass sie mit ihrem Hintergrund sagen können, das eröffnet mir die und die Chancen im Leben, dass ich in der Minderheit und dem Grenzland aufgewachsen bin und ich in der Lage bin, mich in mehreren Kulturen zurechtzufinden“, sagt Ilse Friis, die ein breites Verständnis und Offenheit für andere Menschen als wichtige Einstellungen wertet. Das Deutschsein oder Anderssein will gelernt sein. Deswegen habe die grenzüberschreitende Initiative „Schülerbotschafter“ ihre volle Unterstützung. Schüler und Schülerinnen des DGN sind ein Teil des Teams. Das bewährte Projekt richtet sein Augenmerk auf die Identitätsfindung der jungen Menschen, damit sie selbstbewusst ihre eigene Geschichte als einen Teil der Minderheit vertreten und die Kenntnisse über die Minderheiten beidseits der deutsch-dänischen Grenze fördern können.

Vielen ist Ilse Friis als aktive und respektierte Rektorin des Deutschen Gymnasiums (DGN)  in Erinnerung.

Foto: Karin Riggelsen

Nach 37 Jahren im Berufsleben in den Ruhestand getreten

Wenige Monate nach ihrem Ehemann vollendete Ilse Friis im Herbst 2022 ihr 70. Lebensjahr. Zu dem Zeitpunkt war sie seit knapp fünf Jahren im Ruhestand. 2017 hatte sich die Wahl-Apenraderin entschlossen, aus dem Berufsleben auszuscheiden. „Ich war 37 Jahre auf dem Arbeitsmarkt, ich hatte aber nur zwei Arbeitgeber“, sagt Ilse Friis und lächelt. Vielen ist sie noch als aktive und respektierte Leiterin des Deutschen Gymnasiums in Erinnerung.
Sie hinterließ ein Gymnasium in Höchstform, denn während ihrer Amtszeit konnte das DGN viele neue Schülerinnen und Schüler gewinnen und für die Zukunft gesichert werden. Die Schülerzahl war im Jahr 2000 so gerade noch 100, das sei schon bedrohlich für die Schule gewesen, blickt Ilse Friis zurück. Als die Schulleiterstelle 2000 neu ausgeschrieben wurde, zögerte Ilse Friis nicht, sich zu bewerben. Sie hatte schon früher überlegt, aber da war ihr Sohn noch Schüler am DGN, und daher kam das nicht infrage. „Wir sind beide sehr temperamentvoll“, fügt die ehemalige Schulleiterin schmunzelnd hinzu.

2017 ging Ilse Friis in den Ruhestand. Auf dem Foto wird sie vom BDN-Hauptvorsitzenden Hinrich Jürgensen verabschiedet.

Foto: Karin Riggelsen

Von der Handelsschule zurück an das Gymnasium

Die Studienrätin verließ ihren Posten als Abteilungsleiterin des Wirtschaftsgymnasiums an der damaligen Handelsschule, dem heutigen „IBC“ in Apenrade. Sie kehrte an das Gymnasium zurück, an dem sie selbst als junge Frau 1972 ihr Abitur schrieb. Vor ihr lag eine große Aufgabe, um die fallenden Schülerzahlen zu stoppen. Zusammen mit ihrem Team setzte sie die Vision von einer umfassenden Digitalisierung, die bereits vor ihrer Anstellung beschlossen worden war, in die Tat um. Ein Gebäudemanagement mit einer zeitgemäßen Sanierung und der enge Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern, Ilse Friis ließ es sich nicht nehmen, die kommenden Abiturientinnen und Abiturienten im Geschichtsunterricht zu begleiten, brachten ihr großen Respekt bei den Jugendlichen, die sich wohlfühlten. Das wiederum machte sich auch durch einen positiven Schülerzuwachs und einen hervorragenden Notendurchschnitt bemerkbar.

Ilse Friis hat in ihrer Anfangszeit als Rektorin das DGN erfolgreich durch eine Krise manövriert.

Foto: Karin Riggelsen

Campuspläne: Interessant und schön

Im Frühjahr 2023 stellte der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) seine Pläne in Bezug auf den Bau eines neuen Campus am Deutschen Gymnasium vor. „Ich habe immer gesagt, dass das Gymnasium umgeben ist von Leben. Wir teilen uns die Turnhalle und den Parkplatz mit der deutschen Schule (Deutsche Schule Apenrade/DPA, red. Anm.). Und wir haben das Internat. Würden dann auch die beiden Kindergärten der Minderheit, wie es die Campuspläne vorsehen, an den Standort verlegt, hätten wir hier ein Angebot von der Wiege bis zur Bahre“, überlegt Ilse Friis, die die Campuspläne als interessant bezeichnet: „Wäre schön, wenn man die Pläne verwirklichen könnte.“

Leuchtturmprojekt in Sonderburg überraschte

In diesem Zusammenhang erinnert Friis daran, dass der Bund Deutscher Nordschleswiger erfolgreich ein anderes Leuchtturmprojekt verwirklichen konnte. Dabei handelt es sich um das Deutsche Museum Nordschleswig in Sonderburg. 2015, zwei Jahre bevor Ilse Friis in Rente ging, übernahm sie den Vorsitz des Trägervereins des Museums. „Uwe und Hinrich haben mich 2017 (Uwe Jessen, Generalsekretär des Bundes Deutscher Nordschleswiger/BDN und BDN Hauptvorsitzender Hinrich Jürgensen, red. Anm.), kurz bevor ich pensioniert wurde, kontaktiert. Sie fragten mich damals, ob wir die Renovierung des Museums nicht zu einem Leuchtturmprojekt machen sollten“, lacht Ilse Friis.

„Ich stellte mir damals vor, dass wir ein bisschen renovieren“, denkt Ilse Friis zurück. Als die beiden BDN-Spitzen ihr von ihren großen Plänen erzählten, wäre sie fast vom Stuhl gefallen. Das damals mit einem Volumen von 30 Millionen Kronen veranschlagte Projekt wurde nicht nur verwirklicht. Die Einweihung „des Leuchtturms der Minderheit“ fand fristgerecht im August 2020 statt.

Ich stellte mir damals vor, dass wir „ein bisschen renovieren“. Als ich von den großen Plänen hörte, ein neues Museum zu bauen, wäre ich fast vom Stuhl gefallen.

Ilse Friis, Vorsitzende des Trägervereins „Deutsches Museum Nordschleswig“.

Einweihung mit hohem Besuch

Die Einweihung „des Leuchtturms der Minderheit“ fand fristgerecht im August 2020 statt. Im Juni 2021 besuchten Königin Margrethe II. und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Rahmen der 2020-Feierlichkeiten zum 100. Jubiläum der Grenzziehung das markante Haus an prominenter Stelle in Sonderburg. Die sozialdemokratische Staatsministerin Mette Frederiksen begleitete den Besuch.

Hoher Besuch bei der Einweihung des neuen Museums am 13. Juni 2021. Ilse Friis geht rechts neben dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Vor ihnen die Königin Margrethe II. und BDN-Hauptvorsitzender Hinrich Jürgensen.

Foto: Cornelius von Tiedemann

Das Gedächtnis der Minderheit auf Vordermann bringen

Im Ruhestand ist Ilse Friis nicht weniger aktiv. Durch ihr doppeltes Ehrenamt im Museum und dem angeschlossenen Archiv verbringt sie viel Zeit in der Alsenmetropole. Dort trifft sie sich mittwochs mit einer Freiwilligengruppe, die Archivleiterin Nina Jebsen dabei hilft, das „Gedächtnis“ der deutschen Minderheit in Nordschleswig auf Vordermann zu bringen. Eine Gruppe von gegenwärtig 17 Ehrenamtlern und Ehrenamtlerinnen unterstützt derzeit die Archivleiterin bei der Durchleuchtung und der sich in Planung befindlichen Digitalisierung von Archivalien. Und das weckt stetig das Interesse von Friis, die während ihres Studiums an der Universität in Aarhus auch Geschichte studierte. „Deutsch war mein Hauptfach. Mein Nebenfach war Geschichte, sagt die einstige Studienrätin und Rektorin.

Warum stehen immer die Männer im Mittelpunkt?

Bei der Arbeit der Ehrenamtlichen gehe es auch um die Erfassung von Nachlässen. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen habe Ilse Friis sich darüber unterhalten, warum über die Geschichte der Frauen der Minderheit in der Zeit des Dritten Reichs und in den Jahren direkt davor und danach nur so wenig bekannt ist. „Wir haben uns darüber unterhalten, weshalb immer die Männer im Mittelpunkt stehen, wenn es um die Geschichte der Minderheit geht“, sagt Friis.

Ilse Friis ist eine von 17 Ehrenamtlichen Historiker/Innen im Deutschen Museum Nordschleswig.

Foto: Karin Riggelsen

„Lebensläufe – Frauen der Minderheit in der Zeit des Nationalsozialismus”

Fasziniert von dem Gedanken, unbekannte und womöglich verschwiegene Geschichten aufzudecken, reifte bei der ehrenamtlichen Historikerin der Beschluss, sich in die Archivalien zu vertiefen und dabei den Blick auf Frauen zu richten.

Im Frühjahr 2021 begann Ilse Friis sich mit dem Frauen-Thema zu beschäftigen. Hauke Grella, der Leiter des Museums, hatte wenig Hoffnung, dass sie auf viele Aufzeichnungen stoßen würde. Er rechnete damit, dass sich im Archivmaterial, das im Keller des Museums lagert, vielleicht 12 bis 15 Lebensläufe ausfindig machen würden. Aber der Gedanke, mehr zu erfahren über Frauen der Nachkriegszeit ließ Friis nicht los. Mithilfe der Archivalien und privaten Dokumente hat sie die Lebensläufe zusammengetragen. Und sie liest Zeitungsausgaben des „Nordschleswigers“, der erstmals 1946 erschien, um mehr über die Frauen herauszufinden. „Inzwischen habe ich etwa 150 verschiedene Frauenschicksale gesammelt“, freut sie sich, denn jeder Fall zeichnet ein deutlicheres Bild der damaligen Situationen, in denen sich die Frauen wiederfanden.

„Lebensläufe – Frauen der Minderheit in der Zeit des Nationalsozialismus“ heißt der Vortrag, den die 70-Jährige erstmals im Anschluss an die Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag 2022 auf dem Knivsberg, der Bildungsstätte des Deutschen Jugendverbandes für Nordschleswig, hielt. Der viel beachtete Vortrag lockte nicht nur zahlreiche Teilnehmende in die Bildungsstätte. Auch bei den anderen Vortragsreihen, die Friis bislang im Landesteil und in Verbindung mit der Januartagung der Volksgruppe im Akademiezentrum „Sankelmark“ 2023 gehalten hat, ist die Publikumsresonanz groß gewesen. Auch an ihrer alten Wirkungsstätte hat die DGN-Rektorin ade zu dem Thema gesprochen, um, wie sie sagt, bei den angehenden Abiturienten den Blick auf die Frauen der Minderheit während des Nationalsozialismus zu richten.

Obwohl Ehrenamt für Ilse Friis Ehrensache ist, hat sie die Vorfragen von Schulen des deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig (DSSV) dankend abgelehnt. Die Schülerinnen und Schüler müssen schon ein gewisses Alter haben und über solide geschichtliche Vorkenntnisse verfügen. Diese Voraussetzungen bringen Schülerinnen und Schüler der Oberstufe noch nicht mit, weiß die Studienrätin: „Da ist es eine ganz andere Sache mit angehenden Abiturienten. Ich habe gelernt, diese jungen Menschen zu unterrichten. Das ist mein Metier.“

In ihrem Vortrag stellt Ilse Friis dar, was Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus mitgemacht haben. 

Foto: Bildungsstätte Knivsberg

Vortrag auf Dänisch

Von dänischer Seite sei man inzwischen auch auf ihre Vortragsreihe aufmerksam geworden. „Das greift um sich. Ich hatte mir nicht vorgestellt, von dänischer Seite angesprochen zu werden. Das habe ich nicht erwartet und ich bin wahnsinnig gespannt auf die Reaktionen“, verriet Ilse Friis, die eingeladen war, ihren Vortrag im Rahmen der Jahresversammlung des Geschichtsvereins „Historisk Samfund for Sønderjylland“ zu halten. So bereitet Friis die Darstellung ihrer Präsentation in dänischer Sprache vor. „Das bringt schon ziemlich viel Arbeit. Aber es macht auch Spaß“, sagt Friis.

Die erste Übersetzungshürde habe es bereits beim Vortragstitel gegeben. „Auf Deutsch nenne ich es Lebensläufe. Ich will die Frauen nicht bewerten, sondern neutral ihr Leben schildern“, sagt Ilse Friis, die ganz bewusst den Begriff Schicksal meidet, da sie immer um Neutralität bemüht ist. Deswegen präsentiert sie ihren Vortrag unter dem Titel „Frauen der Minderheit in der Nazizeit“.

In ihrem Vortrag über Frauen im Nationalsozialismus ordnet Ilse Friis die Frauen in sieben Kategorien ein.

Foto: Karin Riggelsen

7-Kategorien-System

Um sich selbst einen Überblick über die Frauen zu schaffen, ordnete Ilse Friis sie in sieben Kategorien ein: Die Humanitären, die Überzeugten, die Lehrerinnen, die „Führerinnen“, die Sekretärinnen, die Dahinterstehenden und die Gegnerinnen.

„Das Projekt kam sozusagen zu mir!“

Im Museumsarchiv sind Friis und ihre Kolleginnen und Kollegen auch auf den Briefwechsel von Tierarzt und Hofbesitzer Jens Möller gestoßen, den dieser mit seiner Frau Marie, genannt Mimi, geführt hat.

Jens Möller war ab 1935 der Parteivorsitzende der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Nordschleswig (NSDAP-N). Er war nach Ende des Zweiten Weltkriegs für seine Nähe zu den NS-Besatzern zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Landesgericht reduzierte die Strafe in einer Revisionsverhandlung auf 12 Jahre. 1950 wurde Möller nach einer Königlichen Resolution begnadigt und entlassen.
Die Korrespondenz zwischen dem in Gravenstein (Gråsten) wohnhaften Ehepaar fand Friis sortiert in einem Aktenordner. Die Ehrenamtlerinnen des Archivs kamen zu der Erkenntnis, dass die Frauen auch viel geleistet haben müssen.

„Das Projekt kam sozusagen zu mir. Die Frauen sind mein Steckenpferd geworden“, sagt Ilse Friis. Jens Möller saß während seiner fünfjährigen Inhaftierung in 15 verschiedenen Gefängnissen. „Seine Frau war eine ganz treue Seele. Sie hat ihn besucht, sobald sie eine Besuchserlaubnis bekam. Das war mit großen Reisen verbunden. Sie konnte sich nicht einfach in ein Auto setzen, sondern musste mit dem Zug oder dem Bus fahren“, hat Ilse Friis aus der Korrespondenz erfahren. Mimi Möller habe, wie so viele andere Frauen, alleinverantwortlich dafür gesorgt, dass der Haushalt auch in dieser für die Familie so schwierigen Zeit geführt werden konnte.

Die feste Ausstellung des Deutschen Museums Nordschleswig ist auf zehn Räume verteilt. Dazu kommt ein Sonderausstellungsraum.

Foto: Karin Riggelsen

Nur eine Frau auf der Kandidatenliste

Als die Männer dann wieder nach Hause zurückkehrten, mussten die Frauen oftmals ihren Platz in vorderster Reihe abtreten. „Als die erste Wahl nach dem Krieg durchgeführt wurde, standen kaum weibliche Namen auf den Kandidatenlisten“, hat Ilse Friis bei ihrer Forschung festgestellt. Bei ihrer Recherche hat Friis nicht nur umfassendes Archivmaterial durchforstet, sondern auch private Dokumente und Berichte herangezogen. 

Ein anderes Frauenschicksal war das von Theodora Valentiner. Einer jener „Gegnerin“, wie Ilse Friis sie nennt. Geboren in Hamburg, zog sie 1894 mit der Familie nach Sonderburg.
Hier richtete Theodora Valentiner, die sich in Flensburg, Hamburg, Irland und Genf ausbilden ließ, eine Beratungsstelle für Mütter und eine deutsche Bibliothek ein. Sie war auch in der Gemeindearbeit aktiv.
„Nach dem Krieg ist sie die einzige Frau, die im März 1946 bei den Kommunalwahlen kandidierte”, sagt Ilse Friis, die Valentiner als „spannende und interessante Frau“ bezeichnet.

Mithilfe der Biografien kann die Lebenslage der Frauen geschildert werden. Einige Lebensläufe berühren die ehrenamtliche Historikerin sehr.

Foto: Karin Riggelsen

Mimi Möllers Lebenslauf berührte

Zurückkehrend zu Mimi Möller sagt Ilse Friis, dass der Lebenslauf sie berührt und sie zu Beginn ihrer Forschung sogar von ihr geträumt habe. Mimi Möller habe, wie so viele andere Frauen, viel auf sich genommen, damit das Leben für sie und ihre Kinder und Familie weitergehen konnte. „Sie haben so eine große Aufgabe auf sich genommen. Der größte Teil der Minderheit war damals in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Höfe mussten bestellt werden, damit die Familien über die Runden kamen. Die Frauen mussten die ganze Ökonomie bewältigen und sie mussten von ihrem Mann eine Vollmacht bekommen, um überhaupt Zugriff auf das Geld der Familie zu haben“, denkt Ilse Friis an die damalige Situation der Frauen zurück.

Ihre historischen Forschungen bestätigen Ilse Friis darin, dass es an der Zeit ist, das Schweigen zu brechen und mithilfe der Biografien die Lebenslage der Frauen, die in den 1940er-Jahren ein Teil der Minderheit waren, zu schildern.

Anna Martensen, die Frau hinter dem Wohlfahrtdienst

Bei den Möller-Briefen blieb es deswegen nicht. Bislang sei es unbekannt gewesen, wie aktiv viele Frauen aus der Minderheit in den Kriegsjahren waren. Da gibt es beispielsweise auch die Frauen, die humanitäre Arbeit leisteten, an der Front und in der Heimat. Dazu gehörte unter anderem Anna Martensen, die aufopferungsvoll dafür sorgte, dass Tausenden Flüchtlingen und Soldaten im südlichen Jütland geholfen wurde.

Anna Martensen wurde 1896 in Riesjarup (Rise-Hjarup) geboren und sie wuchs in Klipleff (Kliplev) auf. Sie war unter anderem Leiterin des „Wohlfahrtdienst Nordschleswig” von seiner Gründung 1929 bis zu ihrem Tod im März 1945. In dieser Funktion war sie auch federführend in der Unterbringung der deutschen Flüchtlinge in Nordschleswig und sie verstarb zwei Monate vor dem Kriegsende 1945, nachdem sie sich bei einem an Tuberkulose erkrankten Flüchtlingskind angesteckt hatte.

Damit geschichtsträchtige Archivalien nicht verloren gehen, fordert Ilse Friis alle dazu auf, beim Aufräumen des Nachlasses eines gestorbenen Menschen unter anderem Schriftstücke, Tagebücher und Dokumente dem Archiv zur Verfügung zu stellen, damit diese der Nachwelt erhalten bleiben.

Volksfürsorgerin ebnete Sozialdienst den Weg

Der „Sozialdienst Nordschleswig“, der 1948 gegründet wurde, baut, wie Ilse Friis sagt, auf dem nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossenen „Wohlfahrtdienst“ auf. Anna Martensen war, bevor sie die Leitung des in Tingleff (Tinglev) beheimateten „Wohlfahrtsdienstes“ übernahm, 1920 nach Berlin gegangen, um an der sozialen Hochschule zu studieren.

Die junge Nordschleswigerin ließ sich zunächst „total begeistern vom Nationalsozialismus“. In den 1930er-Jahren habe sie sich kritisch auseinandergesetzt mit der Partei und bei ihrem Wirken für die soziale Arbeit sei sie, so Friis, unabhängig von der Partei gewesen. Martensens  Einsatz für Krankenpflege und Betreuung deutscher Flüchtlinge sei unermüdlich, so die Apenraderin, die nicht ausschließt, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt noch intensiver in die Geschichte der Volksfürsorgerin eintauchen könnte.

So ist sie auch sehr gespannt auf einen Vortrag, den sie bei der 75. Jubiläumsfeier des „Sozialdienstes Nordschleswig“ halten wird, bei dem Anna Martensen im Mittelpunkt stehen wird „Die Frau fasziniert mich“, sagt Ilse Friis.

Ilse Friis ist fasziniert von der Geschichte der deutschen Minderheit und verbringt, aufgrund ihres Ehreanamts als Historikerin, viel Zeit im Deutschen Museum Nordschleswig in Sonderburg.

Foto: Karin Riggelsen

Taten oder Aktivitäten nicht bewerten

„2023 steht es uns gar nicht zu, die Taten oder die Aktivitäten der Frauen von damals zu bewerten“, unterstreicht Ilse Friis.


Ilse Friis erwähnte in diesem Zusammenhang unter anderem die Mutter der Gemeindeschwester Adeline Hauschildt (1914-1996) aus Jeising (Jejsing), die zu den Frauen gehörte, die wegen ihrer Rolle im Nationalsozialismus ins Gefängnis kamen.

Sie wurde beschuldigt, der Gestapo ihre Wohnung in Tondern (Tønder) zur Verfügung gestellt zu haben, damit sie den gegenüberliegenden Tabakladen eines vermeintlichen Widerstandskämpfers überwachen konnte. „Sie wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt“, hat Ilse Friis herausgefunden.

51 Frauen aus der Minderheit wurden nach 1945 verurteilt, weil sie der NSDAP oder der Gestapo geholfen hatten. Die meisten von ihnen bekamen verhältnismäßig geringfügige Strafen. Sieben Frauen wurden zu zwischen sechs und zehn Jahren Haft verurteilt.

Die Grenzziehung 1920 hat für diese sehr deutsch gesinnten Frauen offenbar eine entscheidende Rolle dafür gespielt, dass sie sich der Nazi-Ideologie zuwandten.


„Eine sagt, ich bin Deutsche. Ich bin dem Vaterland etwas schuldig, ich muss hier noch etwas leisten. Das ist anscheinend das, was sie dazu treibt, sich freiwillig zu melden“, sagt Ilse Friis.

 

51 Frauen aus der Minderheit wurden nach 1945 verurteilt, weil sie der NSDAP oder der Gestapo geholfen hatten. Die Grenzziehung 1920 hat für diese sehr deutsch gesinnten Frauen offenbar eine entscheidende Rolle dafür gespielt, dass sie sich der Nazi-Ideologie zuwandten. 

Ilse Friis über die Frauenschicksale, die sie erforscht hat

Deutsches Museum Nordschleswig in Sonderburg.

Foto: Cornelius von Tiedemann

Ein Volk auf der Flucht

Auf persönlicher Ebene berührt sie die Entdeckung über eine gute Bekannte in ihrer Heimatstadt Hadersleben. Sie hatte sie nicht nur als freundliche und zuvorkommende Ehefrau des Arbeitskollegen ihrer Mutter, sondern auch als Mitglied des örtlichen Rudervereins kennengelernt.

Was Ilse Friis nicht wusste, war, dass diese Frau Ende der 1930er-Jahre nach Berlin gegangen war, wo sie administrativ für die Nationalsozialisten arbeitete und ob ihrer Verdienste 1944 mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Sie war auch im Pflegedienst tätig und betreute nachts in den Bunkern die Verletzten. Ende April 1945 machte sie sich auf den Weg zurück nach Nordschleswig. Aus dem Zug heraus schreibt sie ihrer Mutter einen Brief: „Muttilein, es ist ein Volk auf der Flucht“, hat Ilse Friis in den historischen Dokumenten gelesen. „Das kommt mir immer wieder in den Sinn. Man sagt, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Aber es gibt Strukturen, die sich wiederholen“, sagt Ilse Friis in Anlehnung an die flüchtenden Menschen nach Russlands Krieg in der Ukraine.

Geschnitztes Holzschild spricht Bände

Das Schweigen in der Minderheit ist nicht ungewöhnlich. Das entdeckt Ilse Friis immer wieder, wenn sie unter anderem im Rahmen ihrer Vortragsreihen auf Zeitzeugen oder deren Nachkommen stößt.

Ilse Friis erwähnt unter anderem ein Holzschild mit dem Schriftzug: „Nie davon sprechen, immer daran denken“, den eine Familie aus Nordschleswig dem Museum in Sonderburg vermacht hat. Ein im Faarhus-Lager inhaftierter Mann hatte das Schild geschnitzt, das von einem Stacheldraht-Muster umrandet wurde. Der Mann habe, wie ein Verwandter berichtete, auch nach seiner Entlassung an dieser These festgehalten. In der Familie in Tondern sei nie über die Kriegsereignisse gesprochen worden.

Zu Ilse Friis′ Hobbys zählen Lesen, Stricken und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen.

Foto: Karin Riggelsen

Junge Minderheitendeutsche an die Vergangenheit heranführen

Als Ilse Friis ihren Vortrag im Deutschen Gymnasium hielt, stellte sie fest, dass die jungen Minderheitendeutschen sich durchaus für die Vergangenheit interessieren. Besonders berührt waren die Jugendlichen von dem Schicksal zweier junger Nordschleswigerinnen, die im Alter von 18 und 19 Jahren ums Leben kamen. Die beiden Frauen aus Lügumkloster (Løgumkloster) und Arrild sind die einzigen weiblichen Namen, die auf den sieben Tafeln in der Gedenkstätte für die Gefallenen der Minderheit in den beiden Weltkriegen auf dem Knivsberg verzeichnet sind. Die Unterrepräsentanz von Frauen in der Gedenkstätte bestärkt Ilse Friis darin, dass die Zeit des Schweigens vorbei sein muss, und sie will ihre Arbeit fortsetzen. Eine Doktorarbeit zu dem Thema will die 70-Jährige aber nicht schreiben. „Dazu bin ich zu alt. Das bringt mir nichts“, sagt die tatkräftige Apenraderin, die stattdessen daran arbeitet, dass digitalisiert werden und auf der Plattform des Museums interessierten Nachfahren Einblick gewährt werden kann.

Das Interview mit Ilse Friis wurde im Juni 2023 geführt.

Ilse Friis: Lebensstationen

Friis wurde am 14. Oktober 1952 in Hadersleben als Tochter von Ilse und Carsten Friis geboren. Nach dem Besuch des deutschen Kindergartens „Warteschule“ wurde sie im Sommer 1959 in der Deutschen Schule Hadersleben (DSH) eingeschult. Die deutsche Schule lag damals noch am Aastruperweg. Einige Monate später wurde der Unterricht in den Schulneubau am Ryes Møllevej verlegt. Dort bestand sie 1969 ihr Realexamen.

Nach ihrem Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig studierte die Studienrätin und Rektorin von 1972 bis 1979 in Aarhus, ein Auslandssemester machte Friis 1976 in Freiburg. Das Lehramtsreferendariat schloss sie 1979 an der Haderslebener Kathedralschule ab. Das letzte Jahr ihres Studiums machte Ilse Friis im Fernstudium, denn sie und ihr Ehemann Andreas Cornett, der Staatswissenschaft in Aarhus studierte, kehrten 1978 mit ihrem kleinen Sohn Lars in die nordschleswigsche Heimat zurück.

Von 1980 bis 2000 arbeitete Friis am heutigen International Business College in Apenrade, wo sie 15 Jahre Abteilungsleiterin des Wirtschaftsgymnasiums war.
2000 folgte die Ernennung zur Leiterin des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig. 2017 ging sie in Pension. Ihr Ehemann, Professor Emeritus Andreas Cornett, wurde im Sommer 2022 70 Jahre alt. Er war unter anderem an der Süddänischen Universität (SDU) tätig. Das Minderheitenpaar Friis/Cornett hat den Sohn Lars. Als Andreas Cornett ab 1993 ein Jahr lang Gastprofessor in Wisconsin in den Vereinigten Staaten war, begleiteten ihn seine Frau und der Sohn. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. Lars Friis Cornett ist der Deutschland-Direktor von Femern A/S. Ilse Friis hat eine Enkelin: Carla wurde im Mai 2017 geboren.

Die ehemals handballspielende Friis, teilt sich das Interesse für den Handballsport mit ihrer Familie. Ilse Friis geht oft und gerne in die Schwimmhalle. Sie und ihr Ehemann fahren drei, vier Mal im Jahr nach Berlin, um Sohn Lars und seine Familie zu besuchen. Ansonsten verbringt das Ehepaar Friis/Cornett viel Zeit im Ferienhaus in Vejers. Andreas Cornett kommt von der Westküste in Hoyer (Højer). Die Ferienresidenz ist für ihn ein „kleines Stückchen Westküstenheimat“. Sohn, Schwiegertochter und Enkelin kommen auch oft aus Berlin, um die Großeltern im Ferienhaus zu besuchen. Zu Ilse Friis′ Hobbys zählen Lesen, Stricken und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen. Sie ist Mitglied des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) und sie sitzt im Vorstand der Deutschen Nachschule Tingleff, wo sie den Deutschen Schul- und Sprachverein für Nordschleswig (DSSV) vertritt. Darüber hinaus ist sie Vorsitzende des Jugendmusikfonds.

Ilse Friis kandidierte dreimal für die Schleswigsche Partei (SP, politische Partei der Minderheit). Einen Sitz im Kommunalrat in Apenrade erlangte sie nicht. Friis′ Lieblingsgericht sind gefüllte Paprikaschoten.

Text
Karin Friedrichsen

Fotos
Karin Riggelsen
Cornelius von Tiedemann

Idee & Entwicklung
Harro Hallmann
Sally Flindt-Hansen
0
    0
    Ihr Warenkorb
    Ihr Warenkorb ist leerZurück zum Shop